Ammermannsbült

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Um die Flachwurt (Warft) Ammermannsbült, westlich Ihrhove, ranken sich zahlreiche sagenartige Geschichten. Im Spätmittelalter aufgeschüttet, diente die Wurt als Wohnplatz, später auch als abseits gelegene Begräbnisstelle bei einer grassierenden Epidemie (Pest), noch später erneut als Siedlungsplatz für lange Generationen. Die Oberfläche des Hügels wurde u.a. über Jahre immer wieder systematisch nach datierbaren Funden abgesucht und zahlreiche mündliche Überlieferungen und genealogische Daten gesammelt (2006-2017). Archäologische Grabungen wurden nicht durchgeführt.

Ammermannsbült im Februar 2015

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(Abb.: Querschnitt durch den Hügel, nach kleindimensionierten Bohrungen 2002)

Karte der Situation von 1806. Ammermannsbült trug damals den Namen Oldebulte.

Obwohl die genaue Überlieferung von Klima, Wetter und Sturmfluten im Hoch- und Spätmittelalter an der südlichen deutschen Nordseeküste und im küstennahen Hinterland in vielen Einzelheiten sehr zu wünschen übrig lässt, sind doch die großen Züge durch Forscherfleiß so weit erarbeitet, geklärt und abgesichert, dass Aussagen in den Grundzügen als weitgehend sicher gelten dürfen, dies aber nur, wenn sie sich streng an den erreichten Stand der aktuellen Forschung halten.

Verstärkt auftretende Sturmwetterlagen mit ihren Hochfluten und weiten Überschwemmungen waren bereits ab etwa 1200 n. Chr. (demnach schon im 13. Jh.) frühe Anzeichen für einen Klimawandel, der dann auch übermächtig um und nach 1300 eintrat. Damit waren in der hier untersuchten Region und im ganzen nördlich anschließenden Ostfriesland tief liegende Bereiche in der Küsten- wie in der Flussmarsch akut durch Sturmfluten bedroht, grob gesagt wesentliche Teile etwa der heutigen Krummhörn und des weiten, tief liegenden Schlauches der Fluss begleitenden Emsaue, die hier gemeinhin als Ems-Hammrich bezeichnet wird: Verschiedene Sturmfluten nach 1200 hatten das handfest bewiesen.

Werden ab 1000 n. Chr. drei Sturmfluten überliefert, waren es 1100-1200 fünf, aber im folgenden 13. Jh. bereits elf. Darunter zählte die Erste Marcellusflut (16.01.1219) zwischen der niederländischen Küste und der Elbe mit angeblichen 36.000 bis vielleicht 100.000 Toten. Aus dem Raum Groningen liegt ein dramatischer Augenzeugenbericht vor: Es war Emo, Abt des Klosters Wittewierum, bei Groningen, (*um 1175, +1237), einer der großen Geister seiner Zeit, der Augenzeuge der Sturmflut wurde und die erste naturwissenschaftliche Beobachtung niederschrieb.

Vermutlich während der Luciaflut (vom 13./14.12.1287) brach der Dollart ein und erweiterte sich die Zuiderzee sowie die Lauwerszee (NW von Groningen) mit zahlreichen Todesopfern. Der Durchbruch der genannten Buchten wird man auf den gestiegenen Meeresspiegel zurück führen können, noch mehr auf die Einengung des Wasserauslaufs durch geschlossene Bedeichung, die dann, technisch noch unvollkommen, dieser katastrophal schweren Sturmflut doch nicht gewachsen war.

Die Warmzeit des Mittelalters hatte ein Schmelzen der polnäheren Gletscher ausgelöst, so dass der Meeresspiegel bereits ab etwa 1100 zu steigen anfing. Damit schritt das Meer küstenwärts vor, überflutete die Küstenlinie und begann den Hammrich zu vernässen, dies bis in den Raum Ihrhove – Papenburg. All dies fiel unter die Fach-Bezeichnung „Dünkirchen IIIb-Transgression“, die bis etwa 1450 anhielt. Im 14. Jh. lag der das mittlere Tidehochwasser (bezogen auf Wilhelmshaven) bei +1,40 ü. NN., in Emden bei +1,08 m ü. NN.

Zeitgleich war das Leben durch das Klima-Optimum stark begünstigt: Äußeres Zeichen dafür war die bedeutsame Zunahme der Bevölkerung: Ihrhove war um 1250 neu gegründet worden, doch durch die weiterhin starke Bevölkerungszunahme fragten die Menschen sich, wo sie zukünftig bleiben und wirtschaften könnten. Dazu boten sich aber nur noch die Gebiete an, von denen man angesichts der Sturmfluten und Überschwemmungen wusste, dass man sie eigentlich meiden sollte.Zu solchen hochgradigen Gefährdungsgebieten gehörte die Emsaue. Die beginnt im Westen von Ihrhove, wo Sie über die heutige Deichstraße westlich Ihrhove in Richtung Emsdeich gelangen, heute nach Lütjegaste, nach Weekeborg, nach Dorenborg oder nach Grotegaste.

Angesichts des Wissens um die Sturmflutgefährdung genau dieses Raumes (und der weiteren Nachbarschaft entlang der Ems) überlegten sie, durch welche Mittel sie sich vor Überflutung schützen könnten: Sie schütteten Wurten (Warften, Wohnhügel) auf, errichteten Flachwurten für ihre Wohnbebauung und hofften darauf, dass ihre bäuerlichen Wirtschaftsflächen ringsum durch Überschwemmung nicht versalzten. Genau eine solche Flachwurt stellt der Hügel von Ammermanns Bült dar, benannt vermutlich nach einem frühen Besitzer „Ammermann“ heute ein großer, geheimnisvoller Hügel nordwestlich der Deichstraße, am Ende der nach rechts abzweigenden Straße Nordwallschloot. Der Hügel wird von den benachbart wohnenden Bauern „Oll Bült“ genannt (flämisch, niederländisch, niederdeutsch für Hügel, hier „alter Hügel“.).

Diese Wurt untersuchten wir über lange Jahre. Da es sich um ein archäologisches Monument handelt, führten wir keine Ausgrabung durch. Während der über viele Jahrhunderte andauernden Bewirtschaftung des Hügels und Umlandes gelangten allerdings kleine und kleinste Überreste der keramischen Küchenware an die heutige Erdoberfläche. In Jahrzehnten Forschungsarbeit gelang es uns die Keramikreste zu datieren und einen „regionalen Keramikschlüssel“ zu erschaffen, der eine Datierung mittelalterlicher Keramik in der Region und Nachbarschaft ermöglicht.

Gefunden auf Ammermannsbült. Gehörte dieser Zahn einem Pestopfer?

Danach zu urteilen stammt die ältest auf Ammermanns Bült gefundene Keramik (als Spur des Aufenthalts von Menschen) aus dem Verlauf der Jahrzehnte nach etwa 1250 bis 1300 und durch das 14. Jh.- Vermutlich kurz vor oder um 1300 wurde die Flachwurt errichtet und erstmals bewohnt.

Das Schicksal des Hügels Ammermanns Bült und seiner Menschen seitdem bis heute wird in unserem Buchprojekt „Klima-Kulturgeschichte“ in Einzelheiten untersucht und dargestellt.

Hoffen wir, dass das Buch noch dieses Jahr erscheinen kann.

schiff braun